Freitag, 10. März 2017

Gewohnheiten, Veränderungen und Ärzte

Ich bin wohl sowas wie ein Gewohnheitsmensch. Ich mag Gewohnheiten. Und bin manchmal sehr unentspannt, wenn Gewohnheiten durchkreuzt werden. Sie geben meinem Alltag sowas wie Sicherheit, Eckdaten, willkommene, weil wohlbekannte Gefühle. Mag sein, dass ich da an mancheer Stelle vielleicht so ein klitzeklein wenig zu gewohnheitslastig bin - aber nun.
Zu solchen Gewohnheiten  gehören beispielsweise "mein Platz" oder "meine Plätze" an wiederkehrenden Orten. Bei der Arbeit sind das beispielsweise der Stuhl im Teamraum, der im Stationszimmer, der in der Bibliothek. Die können möglicherweise variieren zu verschiedenen Anlässen. Morgens sitz ich oft in der Nähe der Kaffeemaschine, wenn ich mich denn dann in den Teamraum setze, mittags aber immer, IMMER am anderen Ende des Tischs. Und wenn ich später als andere komme, und mein Platz ist besetzt, bin ich unentspannt. Zögere, stehe Stunden Bruchteile von Sekunden schwer getroffen nachdenkend herum - und setz mich dann woanders hin. Übellaunig, weil: so geht das nicht, hier fühlt sich alles, ALLES falsch an. Falscher Blickwinkel, falsche Sitznachbarn, falsches Karma, falsche Sauerstoffzusammensetzung, sowas. Glücklicherweise achten die meisten Kolleginnen unausgesprochen tatsächlich darauf, dass mein Platz frei ist. Warum und wieso sei dahingestellt- eingefordert hab ich das nicht. Aber manch andere Kollegin hat auch "ihren Platz". Allerdings stehen die nicht drölfzig Sekunden komisch rum, wenn der mal belegt ist. 
In der Frühbesprechung auf Station ist es ähnlich, aber nicht ganz so schlimm. Aber wenn ich woanders sitze als gewohnt, fängt der Arbeitstag "unrund" an. Komme ich allerdings zwischendurch mal ins Stationszimmer und setze mich, ist mit der Platz tatsächlich völlig egal. Aber das "mal eben zwischendurch" ist in keiner Form so strukturgebend wie Besprechnungen oder Pausen.
Am allerliebsten habe ich auch "meine" Parkplätze auf den Parkplätzen der gewohnten Supermärkte. Tendenziell viel weniger schlimm, wenn die belegt sind, aber ich gehe wirklich lieber einkaufen, wenn ich da stehen darf, wo ich am meisten stehe.
Gewohnt ist auch das Mittagessen. Zumindest bei der Arbeit. Am wohlsten fühle ich mich tatsächlich mit einer Tütensuppe - ja, immer dieselbe, und ja, vollkommen indiskutabel kein bisschen gesund - und einem Laugengebäck. Hier gibts allerdings immerhin 3 Varianten in der Sorte. Nachdem mir eine liebe Freundin neulich ganz verstohlen, aber bestimmt einen schriftlichen Tadel  bezüglich ebendieser Fertigprodukte zukommen ließ, habe ich beschlossen, diese Gewohnheit mal ein wenig zu lockern und esse Suppen vor allem an sicherheits- und routinebedürftigen Tagen.  
In mir bekannten Restaurants esse ich prinzipiell dasselbe. Damit ich weiss, was auf mich zukommt und bitte danke auf keinen Fall von irgendetwas überrascht werde. Oder enttäuscht.  Oder beides. Wider dem besseren Wissen, dass es mich durchaus auch positiv überraschen könnte.
Der Alltag ist prinzipiell sowieso gewohnt. Zumindest wochenweise immer dasselbe und dasselbe. Aber auch da bin ich letzlich doch flexibler als bei der Sitzplatzwahl :-).

Für jeden wird an dieser Stelle vorstellbar sein, was ich gar kein bisschen mag: Veränderung. Alles Gewohnte ist vertraut, alle Veränderung erst mal doof. Falsch. Unbehaglich. Unsicher. Bedrohlich - weil: ich kenns ja nicht. Und weil ich das Gewohnte so sehr mag, WILL ich die Veränderung gar nicht erst kennenlernen. Spätestens an dieser Stelle kommt die Krux hinzu - denn so fein es auch ist, sich dank alltäglicher Gewohnheiten durchs Leben zu bewegen, so schwierig ist das allzu starke Fixieren auf ebendiese, weil sich in Wahrheit ja stets etwas verändert. An mancher Stelle bin ich Veränderung wiederum gewöhnt - die Patienten, die ich behandele, befinden sich naturgegeben in einem ständigen Kommen und Gehen. Absolut unproblematisch - das war ja schon immer so und sorgt durchaus auch für willkommene Abwechslung. Aber das Drumherum ist weitestgehend stabil. Natürlich kommen und gehen auch die KollegInnen in regelmäßigen Abständen. Aber zum einen nicht stets und zum anderen ist meistens der ich nenn es mal "innere Kreis" recht stabil.
Meistens. 
Gerade aber  geht mir so ein klein wenig die Flatter. Die Stationsärztin, die ich recht lieb gewonnen habe, mit der ich gerne arbeite, die ich für sehr fähig mit dem Patientengut auf unserer Station umzugehen halte - ach was sie IST einfach fähig - wird in ein paar Tagen gehen. Und ganz abgesehen davon, dass ich sie ihretwegen einfach vermissen werde, wackelt schon jetzt das gewohnheitsliebende-veränderungsablehnende Konstrukt ganz gewaltig - dabei ist sie noch da. Und um es noch ein wenig mehr ins Wanken zu bringen, geht der eben immer schon dagewesene Oberarzt - den ich auch sehr schätze, zweifelsohne, wenn auch ganz anders - in 2,3 Monaten in Rente. Mein kompletter Arbeitsalltag verliert damit derzeit massiv an Stabilität. Der "innere Kreis" verliert wichtigste Mitglieder sowohl für mich persönlich, als sicher auch für die Kollegen und sehr bedeutsam: die Arbeit auf der Station, die ein klein wenig besonders ist, verliert tragende Pfeiler. Und dass ich den Arzt, der vertretungsweise die oberärztlichen Tätigkeiten auf unserer Station übernehmen wird, nicht so wirklich als Sympathieträger bezeichnen würde, machts mir nun nicht einfacher. Ganz davon abgesehen, dass ich kaum glaube, dass es bereits auch nur einen Plan für die Stelle der Stationsärztin gibt.
Dieser Stabilitätsverlust fällt noch dazu auf viele größere und kleinere Baustellen in meinem arbeitsfernen Alltag, die viel Verwirrung, Sorgen und Ängste nach sich ziehen, was die Gesamtsituation nicht gerade verbessert.
Ich schwanke gerade noch ein bisschen zwischen drohender Dekompensation, KopfindenSandstecken, "Alles wird gut" Mantras und hysterischem Dauergelächter.  Hoffen tue ich allerdings dabei insgeheim auf: "Ich mach einfach weiter und such mir neue Gewohnheiten". 
Kann ja nicht so schwer sein. 
Hoffentlich.

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